10
Jun
2007

Die kategorische Ablehnung von Gewalt

Vor etwa 10 Jahren so geschehen in Bern, vor dem Restaurant Traube

Die Traube, eine verruchte Beiz gleich neben dem Bahnhof von Bern, war lange unser Treffpunkt. Wir arbeiteten damals am Bahnhofkiosk, zwischen den Gleisen 5 und 6. Meine Schwester und ich waren in der Spätschicht eingeteilt und trafen uns jeweils nach Feierabend in der Traube zum Feierabend-Trunk und Besprechung des weiteren Vorgehens. Wenn man erst nachmittags um 4 Uhr zur Arbeit geht, muss man den Abend etwas nutzen um sich den sozialen Kontakten zu widmen. Schlafen kann man dann am nächsten Morgen. Zwischen 22 Uhr und 22.30 Uhr geht es in Bern sowieso erst langsam los mit Party, also ideal für uns.

An diesem Abend gingen wir in die Traube um Cello dort zu treffen und danach an ein Konzert zu fahren. Meine Schwester war da und eine Portugiesin, mit der wir öfters zusammen sassen und ablästerten. Gleich neben dem Eingang am runden Tisch sass ein fetter, ekliger Kerl, der mich die ganze Zeit von oben bis unten angaffte, fast sabberte. Mir ging das auf den Keks, ich fühlte förmlich, wie er mich mit den Augen auszog. Ich sagte zu meiner Schwester, dass ich nach draussen ginge, um zu warten und sie und die Portugiesin folgten mir, weil wir wohl einen Rauchen wollten draussen, oder so. Ich kann mich daran nicht mehr so genau erinnern. Als ich an dem ekligen Typen vorbeiging, sagte ich zu ihm: "Brauchst gar nicht so zu starren, hast eh keine Chance." Beim Eingang fühlte ich irgendwie im Rücken, dass etwas nicht stimmte. Der Typ war aufgestanden und folgte uns auf den Fuss. Meine Schwester ging neben mir und er packte uns an den Köpfen und schlug diese zusammen. Das liessen wir uns natürlich nicht einfach so gefallen. Wir schnatterten auf den Typen ein, ob er nicht ganz normal sei, oder ob er Haue wolle, oder was. Mittlerweile waren wir vor der Kneipe auf der Strasse angelangt. Der Typ stand seelenruhig da und griff ganz langsam in seine Jackentasche. Die Portugiesin meinte: "Jetzt nimmt der Feigling ein Messer raus, weil er sich vor drei Frauen fürchtet." Der Typ schüttelt den Kopf, grinst und sagt: "Nein, kein Messer, eine Pistole."

Ich sehe in den endlosen schwarzen Lauf einer Pistole. Meine Kehle ist wie zugeschnürt, meine Beine fühlen sich an wie Pudding, das Herz schlägt in meiner Gurgel, dass ich denke, mein Hals explodiert. Meine Knie drohen einzusacken. Ich bin starr vor Angst. Mein Mund ist ausgetrocknet, so sehr, dass mir das Schlucken schwer fällt und mein Magen krampft sich zusammen. Tausende Gedanken kreisen in meinem Kopf, unter anderem derjenige, dass ich noch nicht mal Dreissig bin und nichts vom Leben hatte. Das einzige, was ich sehe ist dieser Lauf, der gemein vor meiner Nase herumtänzelt. Da schreit die Portugiesin uns an: "Laaauft!" und wir rennen los, in drei verschiedene Richtungen. Ich renne um die Ecke des nächsten Hauses, kotze fast, denke, ich kriege einen Herzinfarkt und muss mich erst mal an die Wand lehnen. Verschnaufen. Runterkommen. Erstaunlicherweise reagieren die Passanten überhaupt nicht. Es ist hellichter Tag, aber keine Polizei, niemand schreit. Es ist kein Schuss gefallen. Ein Blick um die Ecke zeigt mir, dass der Typ weg ist und meine Schwester und die Portugiesin mit Cello vor der Traube stehen. Es ist nichts passiert. Wir steigen in Cellos Auto und fahren nach Zürich an ein Konzert mit Jimmy Page und Robert Plant. Daran kann ich mich kaum erinnern.

Später habe ich erfahren, dass die Waffe eine Sportwaffe war, mit Zulassung, aber ohne Munition. Daher wurde der Typ auch nicht bestraft, denn die Knarre war ja nicht geladen, er hatte keine Mordabsicht. *augenroll* Selbst wenn er die Mordabsicht in dem Moment gehabt hätte, er hätte uns zumindest nicht erschiessen können, höchstens mit der Knarre totschlagen. Sicher auch nicht angenehmer.

Manchmal erwache ich nachts aus genau dieser Szene. Todesangst - in einem Moment, in dem ich keinesfalls sterben wollte. Rennen ums Leben, aber ohne atmen zu können. Gummibänder, die das Wegrennen verhindern. Dann aufwachen und das Herz beruhigen, denn es ist vorbei. Es ist vorbei. Kein angenehmes Gefühl. Das Gefühl ist derartig unangenehm, dass ich es keinem Menschen auf dieser Welt wünsche. Das Gefühl ist derartig unangenehm, dass ich an diesem Tag meine Einstellung zu Waffen geändert habe. Ich lehne Waffengewalt vollumfänglich ab, egal in welcher Form. Ich möchte nicht noch einmal in eine solche Situation gelangen. Nie wieder. Waffen sind scheisse und absolut unnötig. Sie taugen höchstens noch fürs Kino.

Und ich habe noch mehr gelernt.

Unterdessen habe ich mich nach und nach aus "Gesellschaften" zurückgezogen, die sich mit Waffen in irgendeiner Form beschäftigen. An jenem Tag in den 90ern hatte ich einfach nur Glück gehabt. Möglicherweise hatte jeder andere Typ in der Traube eine geladene Waffe bei sich, oder ein Messer - und zwar nicht als Sportgerät.

Und ich habe noch mehr gelernt.

Mir ist mittlerweile auch völlig klar, dass der Vorfall nicht so geschehen wäre, wenn ich die Schnauze nicht so weit aufgerissen hätte. Habe ich wirklich damit gerechnet, dass der Typ nicht sauer wird, wenn ich ihn so doof anmache? Wie würde ich denn reagieren? Möglicherweise hat der Typ sogar einmal in den Spiegel geschaut, bevor er mich traf. Solange er mich nur mit den Augen auszieht, könnte es mir ja egal sein. Die Sache hat meine Einstellung geändert. Ich achte besser darauf, was ich so sage. Obwohl ich immer noch eine freche Schnauze habe, aber immerhin denke ich vorher darüber nach. Wenn die Knarre vor Dir herumfuchtelt, denkst Du nicht mehr an eine Entschuldigung, es ist dann zu spät dafür.
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