Ja, mein Ex-Chef hat sich selber umgebracht. Warum ist den Medien ein Rätsel und weil gerade Sommerloch ist, wird gerätselt. Ich staune über die Attribute, die diesem Selbstmörder nun nachgesagt werden.
Mentale Stärke - das passt dann aber nicht zum verzweifelten Familienvater, der sich umbringt. Nein, gerade das hat ihm eben offenbar gefehlt.
Verantwortungsbewusstsein - einer der zuerst alles an sich reisst in einer Firma, sich völlig überlastet mit Arbeit und darüber seine Familie vernachlässigt und wenn er an der Spitze sitzt - notabene ganz allein - bringt er sich um und schiebt so die ganze Verantwortung von sich. Also verantwortungsbewusst ist anders.
Ein Vorbild - Ja, ein Vorbild für jeden Selbstmörder. Aber für alle anderen sicher nicht.
Empathie - Die hat er aber nur jenen entgegengebracht, die nach seinem Mund redeten, oder wenigstens mit ihm auf Augenhöhe waren - an der Spitze. Ich habe ihn nie als besonders mitfühlend erlebt. Einer der soviel verdient, seine Angestellten aber nicht so gut bezahlt, wie sich selber, von denen aber die gleiche Leistung erwartet. Nein, empathisch war er nicht.
Ehrlich - Carsten Schloter war nichts als eine schöne Fassade, die er aufrecht zu erhalten versuchte, bis es ihn zerrissen hat. Ehrlich ist das überhaupt nicht.
Lebensfreudig - aha. Ich sage es jetzt nicht nochmal.
Ich finde es erbärmlich vom Manager einer der grössten Firmen der Schweiz, die auch noch konkurrenzlos dasteht. Über Tote darf man nicht schlecht reden? Aha, das war vielleicht sogar die Taktik des Selbstmörders. Er war möglicherweise der erste und bisher einzige, der feststellen musste, dass er völlig versagt hat und zwar auf der ganzen Linie, nicht nur im Geschäft, auch Privat. Da bringt er sich lieber um, bevor die Presse negativ über ihn herziehen kann. Und nun ist das Negative zum Tabu geworden.
Es hiess, weil er seine Kinder angeblich nur alle 14 Tage sehen durfte, sei sein Herz gebroche. Oh, ja, jöö, mein Mitleid hält sich in Grenzen. Wahrschienlich hatte er dann an den Besuchswochenenden jeweils etwas wichtigeres zu tun, als sich mit seinen Kindern abzugeben. Ist auch eine schlechte Idee sich dann umzubringen, das hat nämlich zur Folge, dass er seine Kinder nie wieder sieht. Seine Kinder lässt er aber zurück mit dem Trauma, einen depressiven Selbstmörder als Vater gehabt zu haben. Seine Ex-Frau kämpft sicher auch ein wenig mit Schuldgefühlen. War es das, was er wollte? Dann ist er noch armseliger, als ich ihn eingeschätzt habe. Weil ja die Swisscom sein Leben war, war es seine Familie nicht. Er selber hat in einem Interview gesagt, dass er von Verpflichtung zu Verpflichtung hetzen muss und nie verschnaufen kann. Ich hätte ihn wahrscheinlich auch rausgeschmissen, wenn er mein Mann gewesen wäre.
Die Arbeitswelt ist nichts Reales. Genauso schnell wie man in der Wirtschaft ganz oben sein kann, ist man auch wieder unten. Natürlich gibt es Menschen, die das wollen, die das tun, die das auch vertragen, aber deswegen kann man es nicht von allen verlangen. Wer mit seinem Job verheiratet ist, hat in meinen Augen voll einen an der Waffel und braucht dringend psychiatrische Betreuung, am besten schliesst man so einen ganz weg. Solche Menschen sind eine Gefahr für die Gesellschaft, weil sie den Blick für das Wahre verloren haben. Andererseits ist es so, dass ein Chef sehr viel Zeit und sehr viel von seinem Leben investieren muss, dafür wird er - wenn er gut ist - auch respektiert und kann sich ein schönes Leben leisten. Warum aber viel - Unmengen! - von Geld verdienen, wenn die Freizeit fehlt, um es auszugeben? Dann muss der Mensch nämlich kompensieren und sobald jemand kompensieren muss, macht er etwas verkehrt. Carsten Schloter hätte ruhig ein wenig mehr vertrauen in seine Angestellten haben können und die eine oder andere Verpflichtung delegieren, damit er mehr Zeit und Raum für sich hat. Aber das wollte er nämlich gar nicht. Denn jedes Mal, wenn er mal Zeit für sich gehabt hätte, hatte die Depression Platz und damit kam er nicht klar.
Depression - reden wir doch mal darüber. Ich glaube nämlich nicht, dass dies eine Krankheit ist, die einem einfach so anfällt - oder eben nicht. Die Depression ist in jedem Menschen vorhanden und bricht aus oder nicht. Sie ist uns angeboren und je nach dem, was uns passiert und wie wir damit umgehen, schadet sie uns, oder wir nehmen sie nicht wahr. Jene Menschen, die offen sagen, sie würden an Depressionen leiden und sich sogar Hilfe suchen, sind die Normalen unter uns. Die anderen Menschen, die diese Gefühle verdrängen, das sind die Gestörten. Mit anderen Worten, jeder der behauptet, er hätte keine Depressionen - niemals - muss sofort in die Klinik und genau angeschaut werden. Entweder ist er ein Wunder, oder er hat den richtigen Weg gefunden, in den meisten Fällen jedoch liegt es an der Verdrängung. Es gibt unzählige Gründe auf dieser Welt um traurig zu sein. Wer nie traurig ist, oder das Gefühl der Trauer, der Melancholie oder des Schwermuts nicht zulässt, hat ein wirklich grosses Problem. Indem man sich mit Verpflichtungen und Aufgaben eindeckt, lenkt man sich von seinen Gefühlen ab. Es ist der Trick, über eine Trauer hinwegzukommen. Es ist der Ratschlage, den man Psychologen und Coaches kriegt, wenn man grosse Trauer erlebt. Man solle sich ablenken. Einerseits finde ich das nicht grundsätzlich schlecht, aber auch nicht grundsätzlich richtig. Wenn man traurig ist, soll man trauern und wenn man genug vom Trauern hat, kann man anfangen, sich abzulenken. Grundsätzlich falsch ist es, die Trauer nicht zuzulassen. Wenn es einem doch einfach um's Heulen ist, warum dann nicht auch mal heulen? Wer sich schämt, kann es ja auch mal einfach alleine im Stillen Kämmerlein tun. Aber Fakt ist, unsere Seele braucht diese Gefühle. Gute und schlechte. Unsere Seele wächst mit dem Erleben von Gefühlen. Unser Verstand möchte natürlich nur die schönen Gefühle erleben. Ein Orgasmus, ein gutes Essen, Abkühlung an einem heissen Tag, Liebe - alles feine Sachen, die wir gerne wollen. Aber können wir diese guten Gefühle überhaupt wahrnehmen, wenn wir nicht auch die schlechten Gefühle annehmen? Nur wer Schmerz gefühlt hat, kann es geniessen schmerzlos zu sein. Denn ohne die Schmerzerfahrung, weiss man ja gar nicht, was einem entgeht.
Wenn ich mich selber beschreiben muss, dann würde ich mich auch als launisch bezeichnen. So wie ich dich morgens grüsse, so bin ich drauf. Ich bin nicht fröhlich, wenn ich nicht fröhlich bin. Allerdings gehe ich auch ungern aus dem Haus, wenn ich nicht fröhlich bin. Wenn mir also jemand sagt, doch ich sei doch immer fröhlich und gutgelaunt, dann muss ich antworten, nein, Du siehst mich nur dann, wenn ich fröhlich und gutgelaunt bin. Begegne mir mal, wenn ich wieder sauer auf die ganze Welt bin, oder an einer Winterdepression leide, weil ich den Johanniskrauttee vergessen habe. An diesen Tagen fürchtet sich sogar der böse Kerl vor mir. Neulich sagte meine Lieblingsarbeitskollegin zu mir: Nein, Frau Rockhound, du bist nicht launisch, du bist ehrlich. Du trägst das Herz auf der Zunge und mit so jemandem wie dir ist es viel einfacher umzugehen, als mit all den Heuchlern.
Jetzt wisst ihr auch gleich, warum sie meine Lieblingsarbeitskollegin ist. Glaubt mir, ich habe genug Kollegen, die mit dieser "Ehrlichkeit" gar nicht umgehen können. Und darum denke ich immer, ich sei kompliziert, dabei ist es die Welt, die Gesellschaft, mit all ihren ungeschriebenen Regeln, die kompliziert ist.
Once in a while... kommt ein grosser Mann daher und stellt fest, dass er sein ganzes Leben lang in die falsche Richtung gelaufen ist. Und nun fällt es ihm wie Schuppen von den Augen und er merkt, mehr als die Hälfte des Lebens ist vorbei und der Weg zurück ist zu lang. Da fange ich doch lieber gleich vorne an und er erhängt sich mit seinem Schlips. Es gibt sogar Menschen, denen wünsche ich das. So würden sie aufhören, uns ständig auf die Nerven zu gehen mit ihrem Gezerre in die falsche Richtung. Der Witz ist ja, dass jeder denkt, seine Richtung sei die richtige und dort aber dann doch nicht alleine lang laufen will. Sogar mir geht es so, sonst würde ich nicht diesen Blog schreiben. Und dann fürchte ich manchmal, dass ich in die falsche Richtung laufe. Ich zweifle und hadere und bevor ich zusammen breche, lese ich in der Zeitung, dass sich der grosse, starke, fröhliche, erfolgsorientierte, lebensfreudige Carsten Schloter umgebracht haben soll. Gut, bin ich ihm damals in der Swisscom nicht nachgelaufen, sondern habe gekündigt. Gestern haben sich alle Zweifel über mein Handeln wieder in Luft aufgelöst.
Die Arbeitswelt ist nicht real. An einem Tag kann sie zusammenbrechen. An dem Tag, an dem dir der Chef zB. völlig unerwartet fristlos kündigt. Vorher hattest du ein soziales Umfeld, Tagesstruktur und 60 Freunde. Nachher hast du nur noch dich selber. Damit musst du klar kommen können, denn es kann jedem, jederzeit passieren. Wer weiss, wie lange die Swisscom noch überlebt, ohne Carsten Schloter - der sympathische Geschäftspartner. Zehntausende gut verdienende Menschen würden ihren Job verlieren und einige von ihnen damit ihr Leben, weil der Job ihr Leben war. Wer arbeiten will, soll das tun, aber das wahre Leben nicht aus dem Fokus verlieren. Denn sonst bleibt nichts als Leere. Und dann verstehe ich den Selbstmörder. Denn diese Leere ist unerträglich. Dann lieber traurig sein oder Schmerzen ertragen, da spürt man wenigstens noch etwas.
DRIP steht übrigens für Don't rest in peace. Denn wer sich umbringt, hat sein Leben nicht zu Ende gelebt. Das ist als würde man einen Kinofilm nur bis in die Hälfte schauen und dann aufhören, weil man findet er sei nicht gut. In Filmen wie "From Dusk 'Til Dawn" verpasst man dann etwas Wesentliches und völlig Unerwartetes und genauso ist es im Leben. Ich kämpfe lieber mit den Zombies bis zum Tod, anstatt mich vorher feige aus der Szene zu verdrücken. Mit anderen Worten, wer sich selber umbringt, hat keine Zeit, sich auszuruhen. Es gilt, einen neuen Film zu drehen und zwar vom Anfang bis zum Ende. Es ist nicht böse gemeint von mir, es hat nichts mit Rache oder Neid zu tun. Sondern damit, dass jeder seinen Rucksack tragen muss, egal wieviel Geld und Macht und Ruhm er besitzt.
Aufgeben ist keine Option! Und wenn ich ganz unten bin und am Boden liege, dann trete ich mir selber noch in die Fresse, damit ich wieder aufstehe.
Fuck you, Capitalism!